Sauerstoff

intarsien

Es ist immer noch nicht einfach, macht aber mehr Spaß. Die Erstellung eines Hörbuchs war anstrengend, besonders für einen totalen Neuling wie mich. Ich fühle mich immer noch wie ein Neuling, aber die Herausforderung hat sich geändert. Jetzt geht es meistens um Gedichte. Nicht die Langdistanz ist jetzt Thema, sondern die gesteigerte Aufmerksamkeit für Details. Anscheinend verfeinere ich keine Tonaufnahmen sondern arbeite als Kunsttischler an Intarsien. Ich kann kein Gedicht in einer einzigen Aufnahme fassen. Geht einfach nicht. Also muss ich Puzzlestücke zusammensetzen, Intarsien polieren, bis sie aussehen wie aus einem Guss. Das Timing ist so wichtig, ich scheine Mikrosekunden von Pausen herunterzufeilen. Die Lautstärke meiner Atemzüge moderieren. Den Equalizer benutzen. Die Puzzlestücke arrangieren. Ich kämpfe mit Rauschen, Zischen und dem Nahbesprechungseffekt und wahrscheinlich mit einigen akustischen Phänomenen, deren Namen ich nicht kenne.

Natürlich bin ich nicht zufrieden. Was am Abend richtig klingt, zeigt am anderen Morgen seltsame Holperer, und was eine Woche lang gut schien, hört sich einen Monat später schwach an. Wahrscheinlich mache ich lächerliche Anfängerfehler. Langsam lernen.

Sauerstoff (mp3)

Hammer

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Ich habe das Recht erworben, hier zu sitzen, bis der Zug mich zu dir bringt. Wenn es einen Notfall gibt, kann ich diesen Hammer benutzen, die Scheibe zerschlagen und unverletzt fliehen. Die Form dieser Hämmer hat mich immer fasziniert. Jemand muss sie gestaltet haben. Funktionieren sie auch wirklich?

Tout abus sera puni.

Kein Zwischenfall jetzt. Ich habe das Recht erworben, in diesem Zug zu fahren. Dahin, wo du auf mich wartest.

Sand

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Der Sommer 2007 war in Griechenland so heiß, dass meine Haut rebellierte. Aber ihr wolltet am Strand spielen und in der Sonne sein, ihr wart ja Kinder. An diesem Abend raffte euch dann die Müdigkeit ganz plötzlich; ihr habt euch in den Sand gelegt und seid eingeschlafen als hätte man euch über die Augen gewischt. Ich lag daneben und schaute in den Himmel, die Milchstraße zeigte sich. Ab und zu musste ich prüfen, wie es euch ging. Ihr wart keine Opfer. Keine Flüchtlinge, die es noch knapp an den Strand geschafft hatten. Ihr wart Touristenkinder, die im Sand schliefen. Am anderen Morgen schlüpften die Schildkröten, und wir feuerten sie an, damit sie es auch ins Meer schafften.

Männchen

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Sie waren wirklich überall. Schulen, Rathäuser, Turnhallen und sogar Privathäuser hatten sie an der Backe kleben. Die gesichtslosen Männchen beschäftigten sich oft mit Wissenschaft oder Ackerbau; sie betrieben Produktion und Krankenpflege. Und Sport. Meine Güte, was liebten sie den Sport. Leichtathletik und Turnen. Obwohl es ziemlich offensichtlich war, was sie da trieben, fragte ich mich sogar als Kind: warum das alles? Eine Turnhalle war eine Turnhalle, eigentlich gab es keinen Grund, sie mit Männchen in endlosem Wettkampf zu verzieren, oder vielleicht doch? Andererseits: Was sollten Bauern ohne Gesicht an der Wand eines städtischen Wohnhauses, das nichts mit der Landwirtschaft zu tun hatte?

Heute weiß ich ja, dass es sich bei den Männchen um stilistische Bastarde handelte, irgendwo zwischen Schlemmers Triadischem Ballett und Aichers Piktogrammen geschmacksverirrt. Und sie waren das Gegenstück zu den ermüdenden Propaganda-Wandmalereien in der DDR, über die sich der Westen so gern lustig machte.

Als Kind den Männchen zu misstrauen: Es war schon ok.