Lust auf Industrie

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Wir braven Bürgersleut gehen im neuen Industriegebiet spazieren, um zu sehen, was ist. Die Frage stellt sich: Kann es da auch schön sein? ich bin für ja, du bist für nein. Ich sage: Sieh mal die sauber aufgereihten Trommeln der Betonmischfahrzeuge. Oder die Werbung. Die komischen Firmennamen. Da ist doch ein Rhythmus, eine Struktur. Du sagst: Alles nur dummes Lego, keine Schönheit, die man anschauen will. Man muss uns lassen, dass wir beide recht haben. Es wird gebaut, und von einigen Mobilklos weht ein Duft her. Die Brachen und die rohe Leerstellen fallen auf; da kann das neue Autohaus den Lack seiner Ware noch so sehr glänzen lassen. Wir sind den Hunden nicht böse, die anschlagen. Doppelte Unsicherheit herrscht in den Randzonen, denn dort wohnen nicht mehr nur Hausmeister. In den Seitenstraßen schlafen die internationalen Lastkraftwagen, weil Sonntag ist.

Photon II

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In "Photon" schrieb ich, bestimmte Objektive seien Märchenerzähler. Aber vielleicht sind sie eher Märchenfinder. Wenn die Tiefenschärfe nur gering schärfentief ist, findet sich vor allem im Herbst zwischen den Blättern und den Hagebutten eine gewisse milde, kalendergeeignete Melancholie, die ein wichtiges Märchen mitbringt: dass wir in einer mild melancholischen, schönen, grundsätzlich angenehmen Welt leben. Anders gesagt: Das Objektiv mit der kleinen Blendenzahl findet Lüge und Utopie zugleich.

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Wild

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Es braucht Durchhaltevermögen und Hartnäckigkeit. Die Zeitjagd ist nichts für die Ungeduldigen und Schwachen.

Bars, Restaurants und Flussufer hatten unsere Fähigkeiten herausgefordert und vertieft, auch Museen, Supermärkte und andere Orte von öffentlichem & privatem Interesse. Es kam der Tag, an dem wir uns für das scheuste Wild von allen in Stellung bringen mussten.

Die Fallen waren aufgestellt. Natürlich hatten wir auch das zweitwichtigste Equipment für die Jagd mitgebracht: Decken & Tee. Die Temperatur außerhalb des Wagens fiel. Unser Atem zeichnete seltsame Muster an die Fenster.

Warten, schnarchen, Tee trinken, schlaftrunkenes Gemurmel: Es lohnte sich. Unsere Fallen waren ausgelöst worden, wieder und wieder. Aber wir konnten noch nicht mit Sicherheit wissen, ob wir Erfolg gehabt hatten. Das Gerät war taunass, wir mussten es nach Hause mitnehmen, um es genauer zu untersuchen.

Man stelle sich unsere Erleichterung vor, als wir sahen, wie sich die Sterne über den Bildschirm meines Computers bewegten. Wir hatten Stunden damit verbracht, Sekunden zu erjagen – aber die gehörten uns jetzt.

Sofort schliefen wir ein.

Photon

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50mm, f1.2. Objektive mit dieser Brennweite und Blendenzahl wurden früher viele hergestellt, man findet sie auf allen digitalen Flohmärkten. Sie zeichnen noch genauso weich wie damals. Zickig sind sie und anspruchsvoll, sie "saugen Licht auf", sie sind besonders geeignet für Portraits oder eben nicht. Manche taugen nichts, andere eben doch oder umgekehrt. Alle miteinander sind unpraktischer Müll oder sie stellen die Königsdisziplin. Das Gespräch geht immer so weiter. Von den noch extremeren Verwandten mit der Blendenzahl 0.95 wird nur ehrfurchtsvoll geflüstert ("Noctilux!") – Nach dem einen f1.2-Objektiv zu schließen, mit dem ich bisher in der Nacht unterwegs war, sind sie vor allem Märchenerzähler und Schimmermaschinen.

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