Mai 2017

Glas

Aulosphaera Elegantissima

Schwer zu glauben, aber das ist geblasenes Glas. Léopold und Rudolf Blaschka (Vater und Sohn) hatten es sich zur Lebensaufgabe gemacht, so viele anatomisch korrekte Glasmodelle von Lebewesen herzustellen und zu verkaufen wie nur irgend möglich. Zwischen 1871 und 1936 entstanden Tausende davon; die größte heute existierende Sammlung befindet sich am Harvard Museum of Natural History. Das handwerkliche Niveau und die Abbildungstreue sind unfassbar. Es ist nicht in allen Einzelheiten bekannt, wie die Modelle hergestellt wurden, weil die Blaschkas ihre Geheimnisse bis zu ihrem Tod (1895 bzw. 1939) nicht preisgaben.

Glücklicherweise besitzt die Universität Tübingen auch ein paar der Modelle, und weil ich in Tübingen lebe, habe ich sie bei zwei verschiedenen Gelegenheiten gesehen. Ein weiterer Glücksfall trat ein, als ich eines meiner Fotos von Aulosphaera Elegantissima mit ein paar digitalen Filtern bearbeitete. Das fußballgroße Glasmodell dieses Strahlentierchens ist schon an sich beeindruckend, aber die digitale Trickserei ließ es aufleuchten wie die Sonne in einem einsamen, ansonsten komplett schwarzen Universum.

Das Bild war Teil meiner Ausstellung "Die verbesserte Natur" und des Kurzfilms, den ich über sie gemacht habe.

Sammlungen der Universität Tübingen: Galerie

Still

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Die Stille, die dort herrschte, machte die Ohren hellwach. Wir hörten Fische, die dem Hecht in drei, vier hektischen Sprüngen entkommen wollten. Oder den Fuchs, der um das Haus herum nach Futter suchte, an den Holzwänden kratzte, um ein Asyl bat, das wir ihm nicht gewähren konnten. Die Landstraßen hatten wir über so lange Strecken für uns allein, dass wir die Existenz anderer Autofahrer vergaßen. Das Glitzerlicht auf tausend Seen, die Kunststücke der Libellen, Wälder voller Pilze: alles sehr traumhaft. Aber es gibt Bilder, deswegen war es real.

Beweise

42x Schweden

Halland | Vektor

Tanz mit mir

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Als ich die Bühne sah, verließ mich fast der Mut. Sie war ganz schwarz; die Tänzerinnen und ein Tänzer machten ihre Aufwärmübungen in Alltagsklamotten, und ich fürchtete, Licht und Kontrast würden an diesem Abend Mangelware sein. Aber ein Auftrag ist ein Auftrag, und ich hoffte das Beste.

Auch während der wirklichen Generalprobe trugen die Tänzerinnen gewöhnliche Kleidung, aber die war immerhin kamerafreundlicher. Man hatte mir erlaubt, während der Probe bei Bedarf die Bühne zu betreten; Entfernung würde kein Problem sein. Trotzdem war ich mir der Ergebnisse nicht sicher – wahrscheinlich würde das Bildrauschen alles ruinieren. Zieh es durch, sagte ich mir; du brauchst nur zehn gute Fotos. Bei 500 - 800 Aufnahmen sollte doch was dabei sein, oder?

Die Tänzerinnen tanzten, tanzten, tanzten, und ich drehte meine eigenen, viel unbeholfeneren Pirouetten. Ich kniete, saß, lag, kauerte, streckte mich. Ich prüfte meine Einstellungen, befestigte meine Kamera an meinem Einbeinstativ und löste sie wieder, behielt ein Auge auf den Videoaufzeichnungen – ein absurdes Ballett der ganz eigenen Art, glücklicherweise gnädig verborgen im Dunkel außerhalb der Bühne.

Dann erschienen Nils und Theresa. Ich war aus drei Gründen dankbar. Ihre weißen Oberteile konnte der Autofokus meiner Kamera vor dem nachtschwarzen Hintergrund leicht verfolgen. Zweitens diskutierten sie tanzend, was Liebe ist, in einer ganz klaren Bewegungssprache. Das berührte mich.

Drittens erinnerten sie mich an David Foster Wallace. In einem brillanten und seltsamen Essay mit dem Titel Roger Federer as Religious Experience (Roder Federer als religöse Erfahrung) schreibt er:

Die menschliche Schönheit, von der wir hier sprechen, ist von einem besonderen Typ; man könnte sie vielleicht kinetische Schönheit nennen. (…) Sie scheint aufzutreten, wenn sich Menschen mit der Tatsache versöhnen, dass sie einen Körper haben.

Ich will hier nicht behaupten, den gleichen Erleuchtungen wie David Foster Wallace ausgesetzt gewesen zu sein, und ich denke, dass sein Aufsatz größtenteils entzückender Unfug ist. Trotzdem näherten sich Nils Freyer und Theresa von Hunoltstein einem Zustand der Versöhnung mit der Tatsache ihrer Körperlichkeit an.

Statt 500 - 800 Aufnahmen hatte ich 3700 gemacht. Es waren brauchbare dabei.

Semiprofessioneller Muskelkater ist real.

Galerie

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