Juli 2018

Verpassen

verpassen

Wir haben Angst, etwas zu verpassen; dabei können wir gar nichts mehr verpassen.

Ich sah in diesem Sommer drei Dinge. Auf dem Weg ins Allgäu fiel mir ein robotischer Rasenmäher bei der Arbeit auf. Ein flacher, schwarzer Kasten, der das Gras aß. Der Zug fuhr sehr langsam, und ich konnte den Anbruch einer neuen Zeit bewundern.

Auf einem Feld hinter Hannover sah ich einen Tornado. Er war noch ein Kind, er wollte noch wachsen, mehr umherschleudern als ein bisschen Ackerstaub. Die neue Zeit brach auch so an.

Als ich das wunderschöne, kleine Backsteinschloss von 1661 fotografierte, kam ich an einer jungen Frau vorbei, die weinend ihr Smartphone bearbeitete. Ich fragte sie, ob alles in Ordnung sei, und sie bestätigte es mit einem schmerzverzerrten Grinsen. Ich sah ein, dass ich ihr Leben für zwei Sekunden noch schwerer gemacht hatte.

Jagd

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Wir gingen am Fluss jagen. Da war so viel köstliches Getier: Schwäne, Kormorane und Blässhühner zum Beispiel. Unser pausenloses Schießen füllte die Luft mit Pulverdampf. Ich erlegte sogar eine John-James-Audubon-Gedenk-Ente.

Dann gelangten wir zu dem Ort, an dem uns dieses Monster von einem Wachhund den Weg versperrte. Wir nahmen es nicht hin. Ermutigt von unseren Jagderfolgen provozierte ich den noblen Vierbeiner durch Gebell zum Kampf und erlegte ihn. Nichts konnte uns aufhalten.

Wir aßen beim Inder, um uns zu stärken. Danach jagten wir noch ein wenig weiter, bis volle Befriedigung erreicht war. Wir nahmen unsere Beute mit nach Hause und prüften sie auf unseren Bildschirmen.

Taurin

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Der Taxifahrer verließ sich auf Energydrinks, aber als Profi übertrieb er es nicht. Wach bleiben und die Sache im Griff behalten, darum ging es.

Sein Auto half auch. Janis Joplin sehnte sich so sehr nach einem dieser Daimler. Auch die Politiker, die dumm wie Brot sind, fühlen sich klug und unbesiegbar, wenn sie in solchen Autos herumkutschiert werden.

Wir kamen an meiner alten Schule vorbei. Es gibt Menschen, die nostalgische Erinnerungen an dieses Gebäude haben, das ist eine Tatsache. Du hattest es noch nie von innen gesehen, aber deine Beobachtungen während unserer Vorbeifahrt kann ich nicht wiedergeben, weil man mir nicht glauben würde.

Ich nahm an, es sei bereits Vollmond. Aber du und der Fahrer, ihr wusstet es besser.

Schädel


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Wir gingen zum Kristallpalast. Da gab es alle Arten glitzernder Steine, herzzerreißend schön. Manche sahen aus wie gefrorenes Feuer, andere wirkten fast wie Satellitenbilder der Erdoberfläche. Diese Steine waren alt – Erklärungstafeln, die von 100 oder 210 Millionen Jahren sprachen, stellten keine Ausnahme dar. Quarze, so groß wie Menschen. Eine Amethystdruse von vier Metern Höhe.

Der Schädel gehörte auch zur Ausstellung. Ein unglücklicher Widder war vor Äonen in eine Höhle gefallen. Vielleicht vor 10 000 Jahren, ich weiß es wirklich nicht mehr. Die Natur ließ Kristalle auf seinem Schädel wachsen, einfach so. Dann wurde der Schädel gefunden, und man brachte ihn zum Kristallpalast, damit wir staunen konnten.

Wir lernten: Weil die Natur völlig gleichgültig ist, kann sie auch den Tod schön machen.

Kommando

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In der heißen Schlacht konnte der Feind uns nicht bezwingen. Doch ein ungünstig Schicksal entriss uns der Streitwagen viele. Heimtückisch wurden sie entführt, als wir den Nöten des Körpers gehorchten.

Der Zorn der Heerführer kannte weder Rand noch Band. Es war an uns, zurückzuerlangen, was aus Torheit wir der List des Gegners preisgegeben hatten, oder Verdammung würde unser Los sein. Angst befiel uns. Wie die Gefahren meistern? Wie der Wachsamkeit des Feinds entgehen?

Listig in hohlen Baumstämmen versteckt, unter Rinde und Blättern, näherten wir uns dem bewussten Ort, dem Lagerplatz für unsere Kampfwagen. Nahebei feierten die feindlichen Horden ihren Triumph. Aber Eitelkeit hatte sie sorglos gemacht: Die Wachen schliefen, vom Weine berauscht. Vordringen, der pflanzlichen Larve entsagen, von dannen ziehen – ein Kinderspiel war's. Heimkehrend zu den jubelnden Gefährten erfüllte uns Freude über den Schmerz des Feindes im Angesicht des leeren Platzes, wo er seine Beute sicher gewähnt.

Auto